50 Jahre und immer noch Tabu: „Wir haben abgetrieben!“ Schwangerschaftsabbruch heute
„Wir haben abgetrieben!“ – stand quer auf dem Titelblatt der Zeitschrift Stern im Juni 1971. Das ist jetzt ziemlich genau 50 Jahre her. Ungewollte Schwangerschaften stellen Frauen auch heute noch vor sehr schwierige Situationen. Nur sehr wenige Ärzte oder Kliniken nehmen überhaupt Schwangerschaftsabbrüche vor. Bis es so weit ist, müssen die Betroffenen einiges über sich ergehen lassen und oftmals weit fahren. Die psychische Belastung, die ein Schwangerschaftsabbruch und die Bedingungen darum herum für die Frauen und auch ihre Partner mit sich bringt, findet zudem nur wenig Gehör und Unterstützung – da das Thema nach wie vor Tabu und moralisch sehr aufgeladen ist.
Einfach Realität: ungeplante Schwangerschaften
Schwangerschaftsabbrüche, manchmal auch noch Abtreibung oder Abbruch genannt, sind etwas, das jede Frau verhindern möchte. Manchmal kommt es aber eben doch zu ungeplanten Schwangerschaften. Das ist einfach die Realität. Die Ursachen sind so vielfältig wie sexuelle Begegnungen: sei es durch versagende Verhütungsmittel, ungewollten Geschlechtsverkehr, fehlende Aufklärung, fehlende Möglichkeit der Aushandlung, Partner, die Verhütungsmittel verweigern, die Annahme, man sei nicht (mehr) fruchtbar oder in „ungefährlichen“ Tagen oder einfach die Leidenschaft im Moment, die den Kopf vernebelt hat, oder oder oder – ungeplante Schwangerschaften passieren nun einfach mal.
Ebenso vielfältig sind auch die Gründe, aus denen sich Frauen und Paare gegen ein Kind entscheiden: bereits abgeschlossene Familienplanung (rund 60 % der Frauen, die 2020 in Deutschland abgetrieben haben, hatten bereits ein oder mehrere Kinder), junges Alter, gesundheitliches Risiko, der Wunsch nicht alleine ein Kind großzuziehen, falsche Lebensphase für ein Kind usw. Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, sind aus jeder Altersgruppe, verheiratet, ledig oder verwitwet, in einer festen Beziehung oder alleinstehend.
Rechtliche Lage von Schwangerschaftsabbrüchen
Beim Thema Abtreibung wird der Schutz des ungeborenen Lebens und das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegeneinander abgewogen. Grundsätzlich ist Abtreibung in Deutschland nach wie vor eine Straftat – nach dem berüchtigten Paragraphen § 218 Absatz 1 StGB. Es gibt allerdings Ausnahmen, nämlich wenn die 12. Schwangerschaftswoche noch nicht beendet wurde und sich die Schwangere einer Beratung unterziehen lässt. Auch sogenannte kriminologische Indikationen wie eine Vergewaltigung oder eine Schwangerschaft bei unter 14-Jährigen sowie medizinische Faktoren der Schwangeren oder des Embryos können Schwangerschaftsabbrüche legalisieren. Aber dies im Einzelnen zu erklären, soll heute nicht mein Thema sein.
Ich befasse mich hier heute mit der Beendung einer ungewollten Schwangerschaft vor der 12. Woche und nach der Pflichtberatung – das trifft auf über 90 % der Schwangerschaftsabbrüche zu. Die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung hat im übrigen gesetzlich (nach § 219 Absatz 1 StGB) vorgeschrieben ein ganz klares Ziel, nämlich: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. […]“ usw. – Du siehst schon, wo hier der Fokus liegt….
Zu wenig Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche
Einige Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs werden durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz reguliert. Dieses besagt unter anderem, dass alle Bundesländer ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen müssen (§13). Hierfür stellt die Bundesärztekammer eine monatlich aktualisierte Liste aller Einrichtungen zur Verfügung, die diese vornehmen. Wenn Du Dir diese Liste anschaust, sieht Du schon: viele sind es nicht, nämlich etwa 350 Einrichtungen für rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr.
Keine Schwangerschaftsabbrüche in Fulda
Wenn Du wie ich aus Fulda kommst, siehst Du: keine der Gynäkologen in dieser Stadt nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. Die Schwangerschaftskonfliktberatung wird hier zwar angeboten, aber zum Abbruch selber müssen die Frauen oft weit fahren. Warum eigentlich? Warum lassen die Ärzte ihre Patientinnen damit alleine? Gynäkologen leben davon, Frauen medizinisch zu begleiten. Und gerade dann, wenn diese in einer schwierigen Situation sind und Unterstützung bräuchten, stehen sie ihnen nicht zur Seite. Warum klammern sie ausgerechnet dieses schwierige Thema aus, obwohl es unter der Einhaltung bestimmter Bedingungen ein gesetzliches Recht der Frau ist?
Ich verlange nicht von Frauenärzten, die aus moralischen Gründen gegen Schwangerschaftsabbrüche sind, diese vorzunehmen. Ich glaube aber nicht, dass dies bei allen der Fall ist. Liegt es an dem Einfluss der katholischen Kirche? Beratungsstellen berichten immer wieder, dass in katholisch geprägten Regionen im allgemeinen weniger Ärzte Abtreibungen vornehmen, als in protestantischen. Ich liebe Fulda, aber ich finde es ist ein Armutszeugnis, dass keine Einrichtung Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Ich würde mir wünschen, dass in dieses Thema mal Bewegung kommt!
Zusätzliche Belastung durch weit entfernte Einrichtungen
Der Mangel an Praxen und Kliniken für einen Schwangerschaftsabbruch hat zur Folge, dass Frauen in entfernte Städte fahren müssen und sich dort fremden Ärzten anvertrauen müssen – gerade dann, wenn jemand Vertrautes und ein vertrautes Umfeld so wichtig sind. Die Frauen sind mit ihrer Angst, Trauer, Scham und ggf. körperlichen Beschwerden oft ganz alleine, weit von Zuhause. Dies bedeutet für die Frau zusätzliche Kosten, zusätzlicher organisatorischer und emotionaler Stress und oft auch zeitliche Probleme, im Rahmen der 12-Wochen zu bleiben. Auch für Männer kann ein Schwangerschaftsabbruch und die Entscheidungsfindung sehr belastend sein.
Einbezug des Mannes und Austausch über die ungeplante Schwangerschaft
Egal ob in einer festen Partnerschaft, in einer gerade beginnenden Beziehung, einer Affäre oder auch nach einem One-Night-Stand: Auch für Männer kann die ungeplante Schwangerschaft schwierig sein. Auch sie haben ihre eigenen Wünsche, Ängste und Sehnsüchte in Bezug auf eigene Kinder. Es ist schön, wenn sich beide Betroffene über ihre Wünsche und Sorgen zur ungeplanten Schwangerschaft austauschen können. Es geht um den Körper der Frau und es ist letzten Endes ihre Entscheidung. Aber auch mit der Psyche des Mannes kann ein Schwangerschaftsabbruch etwas machen und dies wird oft übersehen. Meist geht es beiden mit der Entscheidung besser, wenn es gemeinschaftlich besprochen wurde. Und auch das Sprechen mit Freunden, der Familie oder Therapeuten kann einem helfen, einen Schwangerschaftsabbruch zu verarbeiten, wenn er als belastend erlebt wird.
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr laut dem Bundesamt für Statistik rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Nicht gerade wenige. Aber es ist trotzdem nach wie vor ein Tabuthema, das viele Frauen mit sich selber ausmachen (müssen). Was meinst Du, warum wird eigentlich immer noch nicht öffentlich darüber gesprochen?
Deine Katharina
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